Alle Revolutionen sind technische Revolutionen
Vilém Flusser im Gespräch mit Florian Rötzer
Das erste Buch, das von Ihnen auf deutsch veröffentlicht wurde, trug den Titel “Für eine Philosophie der Fotografie”. Ihre nächsten Bücher haben den Namen Philosophie nicht mehr im Titel geführt, während Sie immer mehr betont haben, daß Ihr Denken eher den Sinn einer Fabel hat, also den einer indirekten Theorie und einer moralischen Kritik. Warum diese betonte Ablösung von der Philosophie?
Ich bin nicht vollständig mit dem Begriff der Fabel einverstanden. Wie viele andere versuche ich, von der gegenwärtigen Lage zurückzutreten, um sie kritisieren zu können. Hier stellt sich natürlich die Frage, in welche Richtung und wie weit man zurücktritt. Die Praxis lehrt, daß sich die Kriterien der Kritik spontan anbieten, wenn man die Richtung und die Entfernung gewählt hat. Das, was man Philosophie nennt, ist ein Rücktritt in die theoretische Ebene. Von dort aus kann man einen allgemeinen Überblick gewinnen über das zu Kritisierende. Dabei lassen sich zwei Entfernungen einnehmen: die hautnahe Entfernung, das close reading der minutiösen Kritik, oder die distanzierte Entfernung der panoramischen Perspektive. Nach einer gewissen Zeit hat mich das ermüdet. Dieses Hinausklettern aus den Phänomenen in die Ebene der theoretischen Termini, also der Klassen von Klassen, hat mich gelangweilt. Es gibt aber eine andere Möglichkeit, nämlich seitlich vom kritisierenden Phänomen zurückzutreten. Wenn es beispielsweise um die Frage geht, die gegenwärtige Kulturlage zu kritisieren, kann man seitlich in benachbarte Kulturen oder in vorangegangene Kulturen abbiegen. Der Vorteil einer solchen Einstellung ist, daß man dadurch Vergleichskriterien gewinnt, aber…