Friedemann Malsch
Alighiero Boetti – »1988«
Galerie Charles Cartwright, 17.3. – 21.4.1990
Die Räume der Galerie, eine ehemalige Wohnung in einem Gebäude aus dem frühen 19. Jahrhundert, verströmen den Charme eines alternden Liebhabers: Die verputzten Wände zeigen Spuren früherer Interieurs, das Parkett ist abgenutzt und an manchen Stellen völlig nackt, der Stuck an den Decken verliert nach zahlreichen Anstrichen langsam seine fein gearbeitete Plastizität. Das Büro der Galerie ist nur durch einen Durchgang – die dazugehörige Tür ist verloren – kontaktierbar: Der Besucher steht unmittelbar vor einer Barriere eines riesigen Arbeitstisches, auf dem zahlreiche Maschinen stehen: elektrische Schreibmaschine, Fax, mehrere Computer, Rechenmaschine, Fotokopierer, Radio, Fernsehen. Ihre Rückseiten mit den zahlreichen Kabeln, die sich zu einem breiten Strom vereinigen und ins Nachbarzimmer laufen, zur Quelle, entbieten dem Besucher ein lebendiges Willkommen.
Die sympathische Eigenwilligkeit der Handhabung der Räume und ihrer Ausstattung korrespondiert in ganz merkwürdiger Weise mit den ausgestellten Arbeiten von Alighiero Boetti. “1988” ist eine einzige Arbeit, die sich aus zwölf gleich großen Rahmen zusammensetzt. Jeder Rahmen umschließt seinerseits die zeichnerischen Wiedergaben von zwölf unterschiedlichen Titelblättern europäischer und außereuropäischer Magazine und Zeitungsbeilagen zu Politik, Naturwissenschaft, Zeitgeschehen, Mode, Kunst, Fotografie, Männer, Frauen, Unterhaltung usw. Alle Ausgaben stammen aus dem Jahre 1988, und sie sind nach Monaten sortiert. Boetti hat jedes einzelne Titelblatt sorgfältig mit dem Bleistift so genau wie möglich abgezeichnet.
Und hier beginnen die interessanten Aspekte, die so typisch sind für Boettis Werk: Jede einzelne Arbeit steckt voller innerer Gegensätze, die sich zunächst zu widersprechen scheinen, bis ihre dialektische Funktion durchsichtig wird. Hier handelt…