Thomas Wulffen
Alberto Giacometti
Nationalgalerie, 9.10.1987-3.1.1988
Staatsgalerie Stuttgart, 29.1.-20.3.1988
Was ist der Sinn einer Retrospektive? Die bloße Darstellung eines Gesamtwerkes oder eine Neubewertung eines Werkes in Betracht anderer Zeiten? Die Fragen entwickeln sich an einer Ausstellung des Werkes von ALBERTO GIACOMETTI in der Berliner Nationalgalerie. Sie führt in der Übersicht alle Werke auf, die von Bedeutung sein könnten, wäre ihr Kontext dargestellt. Das plastische Ouvre beginnt mit einem Selbstbildnis von 1925 und endet mit Arbeiten aus dem Jahre 1965. Dazwischen wird das zeichnerische und malerische Werk präsentiert. Beides hat sich vermittelt und vermittelt sich auch in der Ausstellung. Das offizielle Bild Giacomettis wird von den schlanken Figurinen bestimmt, und sie machen in der Ausstellung den Großteil der gezeigten Arbeiten aus. Innerhalb des Gesamtwerkes bildet dieser Figurentopos ebenfalls den Schwerpunkt. Insoweit findet sich eine 1:1-Entsprechung von Ouvre und ausgestelltem Werk. Die Ausstellung genügt von daher einem retrospektivem Anspruch. Dahinter aber tauchen die erwähnten Fragen auf. Kann man in einer Zeit, die das Kunstwerk zur Massenware hat werden lassen, diese Tatsache übersehen und aufgrund der chronologischen Ordnung, des beschworenen retrospektiven Anspruchs, die Masse bevorzugen? Läßt sich in der Masse noch ein Darstellungsmodus finden, der den Sinn dahinter enthüllt? Diese Fragen lassen sich an jede Retrospektive stellen, sie hier zu stellen, ist der gegebene Anlaß. Die Methodik der Retrospektive stellt ihre Mittel in einer chronologischen Ordnung vor. Im Falle dieser Ausstellung aber führt das zum Ende hin zu einer Massierung des figuralen Paradigmas, der die Unterschiedlichkeit der einzelnen Skulptur darstellen will, aber in der Vielzahl…