Paolo Bianchi
Afrika – Iwalewa
Der Weg von einer westlichen Ästhetik zu einer Polyästhetik
Die wahre Geschichte Afrikas ist eine Quelle von Charakter und Schönheit. Aber Charakter und Schönheit – die siamesischen Zwillinge von Erniedrigung und Horror – scheinen selten auf in der uns bisher vermittelten Geschichte dieses Kontinents. Der vorliegende KUNSTFORUM-Band AFRIKA – IWALEWA befindet sich auf der Spur dieses verlorenen Charakters und dieser verlorenen Schönheit.
In Nigeria dient die Heckklappe eines Lastwagens oft als Bildfläche für populäre Malereien oder als Spruchband für volkstümliche Sprichwörter. Auf einer langen Autoreise kann man manches über die Volksweisheit der Nigerianer lernen. Ein Yoruba-Sprichwort, das immer wieder zu lesen ist, lautet: Iwalewa, wörtlich zu übersetzen mit: “Charakter ist Schönheit.”
Über den eigentlichen Sinn dieses Ausspruchs gibt das Lied eines Yoruba-Maskentänzers Auskunft:
Charakter ist Schönheit
Eine Frau kann leuchten wie
ein Antilopenfell;
wenn sie keinen Charakter hat,
ist sie bloss eine hölzerne Puppe.
Ein Mann kann schön sein
wie der Fisch im Wasser,
aber wenn er ohne Charakter ist,
ist er bloss eine hölzerne Puppe.
Die Yoruba schätzen die rein formale Schönheit nicht. Ihr Schönheitsbegriff schliesst auch moralische Werte ein. Ein Schnitzwerk ist sinnlos, wenn es nicht seine magischen, religiösen Funktionen erfüllen kann. Diese Funktion ist unabhängig von rein ästhetischen Kriterien.
Susanne Wenger sagt: “Das religiöse Bildwerk der Yoruba muss ein Akkumulator für religiöse Kräfte sein … Wenn es diese Funktion nicht mehr erfüllen kann, ist es nur noch ein Stück Holz.”
Diese Wechselbeziehung zwischen Schönheit, moralischer Kraft, Integrität und der Anhäufung göttlicher Kräfte findet sich in vielen Kulturen der Dritten Welt. Die Suau…