Adelina Cüberyan von Fürstenberg
Der magische Ort
Insgesamt 89 Nationen hofften bei der Biennale in Venedig auf den Goldenen Löwen für ihren Pavillon. Dass in diesem Jahr Armenien ausgezeichnet wurde, hat viele gewundert. Wohl schon deshalb, weil die Ausstellung sich räumlich von allem so stark absetzt, dass sie zunächst kaum wahrgenommen wurde. Wer die Schau sehen möchte, das Vaporetto von der Piazza San Marco nehmen, nach San Lazarro übersetzen und sich die Zeit dafür nehmen muss, denn die Boote verkehren weniger häufig. Die Fahrt zu der winzigen, vor dem Lido gelegenen Insel, die uns aus dem lärmigen Trubel der Biennale herausreißt, verführt uns zu einem stillen Ort, der unvergleichbar ist. Auf der Insel erwartet uns kein Pavillon, sondern ein altes armenisches Kloster mit seiner besonderen Geschichte. Für die Kunst, mit der die Kuratorin Adelina Cüberyan von Fürstenberg kein politisches Statement abgibt, sondern ein poetisches Manifest formuliert, steht dort mehr Fläche als in den Giardini zur Verfügung. Genau 100 Jahre nach dem von der Türkei bis heute uneingestandenen Völkermord an den weit über eine Millionen Armeniern durch das Osmanische Reich gedenkt die Kuratorin dort des Genozids, aber frei von jeglicher Anklage, eher wie eine Dichterin mit ausgeprägtem Sinn für die tiefe Harmonie zwischen Ort und Kunst. Jeder der sechszehn Künstler, die dort vertreten sind, nimmt auf seine Weise Bezug auf die Massaker. Und gerade weil dies so ist, wurde gemunkelt, die auf Armenien gefallene Wahl sei mehr politisch als künstlerisch motiviert. Es sei dabei nicht allein um die Kunst gegangen. Die Jury begründete…