Judith Elisabeth Weiss
Abstrakte Raumkonzepte
In touch with space and place
Grenzen oder Schwellen und ihre Überschreitung oder Auflösung erfreuen sich in kulturwissenschaftlichen Studien seit den 1990er Jahren ungebrochener Attraktivität. Stand dem iconic turn die griffige Wendung vom „Ausstieg aus dem Bild“ mit der Ausdehnung und medialen Grenzüberschreitung des Bildträgers gegenüber, so konkurrieren beim spatial, topological oder topographical turn eher die Attribute um Dominanz. Sie umschreiben eine Metaphorik, die den Raum als kulturelle Größe begreift, in dem „Raumabstraktionen“ durch Methoden der „Kartierung“, des „Mappings“ oder der „Vermessung“ entstehen.1 Der Raum als Grundverfassung des Daseins ist immer schon da. In vielfältigen Konzepten wird er im großen Fundus der Kunstgeschichte als symbolischer und physischer Ort zelebriert, in dem das Kunstwerk Teil des Raumes und der Architektur wird und gerade unter dieser Voraussetzung seine Wirkung entfaltet. Der Raum in der Kunst weitet sich im Spatiösen oder verdichtet sich in der Enge, er strukturiert sich im Rhythmisierten oder verliert sich im Sphärischen, er vervielfältigt sich in Spiegelungen oder verkehrt sich illusionistisch in Raumlosigkeit. Philosophen des Raumes wie Maurice Merleau-Ponty, Gaston Bachelard und Georg Simmel weisen auf sein lebenstypisches Sinn- und Sinnlichkeitsprinzip hin: Merleau-Ponty reflektiert die Wahrnehmbarkeit des geometrischen und anthropologischen Raumes, während Bachelard für die Erfahrbarkeit der „Poetik des Raumes“ plädiert und Simmel eher von der Auswirkung des sozial erzeugten „Behälterraumes“ spricht.2 Das utopische, poetische und semantische Potential indes ist verschwenderisch und besetzt nicht nur Ausstellungsräume, sondern greift ausschweifend in Lebensräume ein.
Raumutopien
„Die freie weiße Unergründlichkeit, die Unendlichkeit liegt vor euch“ ruft Kasimir Malewitsch 1919…