Abfahrt
(Bia.) Die “Ästhetik des Reisens” führt die Leser in drei Kapiteln an einen der vielschichtigsten Gegenstände der Kultur heran. Reisen kann man, um Erfahrungen zu sammeln. Daß man abreist, kann aber auch einfach passieren. Jede Reise ist anders, jede hat ihre eigene Geschichte, und doch basieren alle Reisen auf dem gleichen Passageritual. Die Reise, ob freiwillig oder erzwungen, gliedert sich stets als Übergangsritual von Abfahrt – Passage – Ankunft.
Die Abfahrt zwingt den Reisenden, sich von Dingen zu trennen, die sein Selbst in der Gesellschaft ausmachen. Das Reisen, so US-Autor Eric J. Leed, verwandle den Reisenden in ein anderes Wesen – ähnlich Rousseaus Wildem, der immer und überall über seine eigenen Kräfte verfügt und “in seiner Ganzheit” immer bei sich ist. In seinem äußerst lesenswerten Buch über “ie Erfahrung der Ferne” (1993) spricht Leed davon, daß die Abreise ebenso Antwort auf Bedürfnisse nach Loslösung und Ungebundenheit, Freiheit und Individualität, Flucht oder Selbstfindung sei.
Die Abreise kann als Beginn einer Selbständigkeit oder als Selbstaufgabe, als Aufbruch zur Freiheit oder als Entfremdung empfunden werden – das Wesen des Aufbruchs bleibt immer gleich: die Lösung des Selbst aus einem Kontext, die Trennung von einem verorteten Selbst. Die Abreise könne, erklärt Leed, als Bloßlegung des gewohnten Selbst die Konturen der Persönlichkeit schärfen. Dies gibt Aufschluß über die Selbstverortung ästhetischer Produktion.
Schmerzliche Abschiede sind jedoch fast häufiger: Erinnert sei an die Vertreibung von Adam und Eva aus dem Garten Eden. Die Reisen von Nomaden, Exilanten, Flüchtlingen und Verfolgten geschehen meist unfreiwillig. Oft sind es auch Reisen ohne Wiederkehr.
Wenn…