Jürgen Raap
Abendmahl
1993 lud die “Humane Gesellschaft für geistige Nekrophilie” ins Frankfurter Atelier von Vollrad Kutscher ein. Geboten wurde ein “kleines Abendmahl in vier Gängen” mit Vorträgen von Gerhard Johann Lischka, Peter Kubelka und Elisabeth Jappe. Neben Buchpräsentationen, Filmen und Videos konnte das Publikum noch ein Aktionsprogramm mit Roland Bergère, Ingeborg Broska, Nini Flick, Boris Nieslony, Hans Jörg Tauchert und Ro.Ka.Wi. goutieren. Kutscher wiederholt in seinen Räumen bis heute solche Atelier-Events mit Essen und Performances regelmäßig in der Zeit der Frankfurter Buchmesse. Wie viele andere künstlerische Motto-Buffets, so sind auch die meisten solcher Abendmahls-Events als parodistisch anzusehen: Es sind performancehafte Travestien auf das kirchliche Eucharistie-Ritual.
Mit dem Begriff “Abendmahl” assoziiert man im hiesigen Kulturkreis sofort die kirchliche Feier mit Hostien und Wein und zugleich das berühmte Leonardo-Bild: Außer der “Mona Lisa” ist wohl kaum ein anderes Werk der Kunstgeschichte so oft zitiert, plagiiert und parodiert, verkitscht und verhunzt worden wie Leonardo da Vincis “Das letzte Abendmahl” (1494-1497) in der Dominikanerkirche Santa Maria delle Grazie von Mailand.
Erich Witschke geht in seinem Textbeitrag der Frage nach, ob die zentrale liturgische Bedeutung des Abendmahls in der christlichen Religion a priori eine ebenso zentrale kunsthistorische Bedeutung dieses bildlichen Topos evoziert, oder ob unabhängig von theologischen Implikationen vielleicht der enorme Bekanntheitsgrad von Leonardos künstlerischer Darstellung bis heute eine solche inspirative Kraft zu entfalten vermag.
Jedenfalls bereichern auch in unserem säkularen Zeitalter erstaunlich viele Abendmahlsmotive den Fundus der Kunst, und zwar zumeist in einer Auseinandersetzung mit Leonardos berühmter Fassung. Rudolf Hausner z.B., ein Mitbegründer des Wiener Phantastischen Realismus,…