Harald Szeemann
A-historische Klänge
MUSEUM BOYMANS-VAN BEUNINGEN
ROTTERDAM (1988)
Der unausrottbare “Hang zum Gesamtkunstwerk” führte Harald Szeemann und sein Museum der Obsessionen dazu, sein Gastspiel in Rotterdam als Plädoyer für die Simultaneität anstelle der normalen zeitlichen Abfolge in räumlicher Trennung des zu verschiedenen Zeiten und in verschiedener Technik Entstandenen zu deklarieren. In der Zusammenführung (ausschliesslich männlicher Meisterwerke) schuf er eine Frei-Zone für die Utopie einer idealen Gesellschaft in Form einer Accademia des “nichteinsseienden” Zusammenseins. Ist ihm das “Abenteuer der Zeitenmischung und der Versöhnung der Gegensätze” gelungen?
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Das Museum der Obsessionen und sein Exekutivorgan, die Agentur für geistige Gastarbeit, haben stets dafür plädiert, daß die Angst vor Grenzüberschreitungen im vertikalen, kompartimentierten Geschichtsdenken überwunden werde durch eine manifeste Kunstgeschichte der Einfühlung in die intensiven Intentionen der Werke aller Zeiten in Form von Visualisierungen ahistorischer Dimensionen. Ich bewundere die Strukturanalyse eines Sedlmayr und die Ikonologie eines Panofsky in bezug auf die Werkauslotung an Orten, die die emotionellen und inhaltlichen Reichtümer historischer Kunstwerke ins Bewusstsein brachten, Teil des kollektiven Wissens um Kunstschöpfung in und aus der spezifischen Zeit wurden und somit neue Kategorien der Bewertung schufen. Der heute mit den Werken im Raum Arbeitende aber ist stets allein mit seiner eigenen Sensibilität: Auch ein historisches Bild ist für ihn heutiger Sender oder lediglich Dokument. In den Museen, die doch eigentlich dank ihrer Sonderstellung der einzige Ort sind, in dem die fragilen Schöpfungen einzelner aus allen Zeiten stets wieder auf ihre Aktualität überprüft werden können, belegt weiterhin das Besitzdenken die praktische Arbeit mit Kunst, weil derart nach aussen die…