5. Bilder vom Fliegen…
Als Ikarus sich ans Fliegen machte, vergaß er die Gewalt der Natur. Als die Menschen den Weltraum eroberten, dachten sie an Krieg. Als die Konstrukteure und Auftraggeber der Titanic das Schiff zur bombastischen Welt-Bühne machten, zerschellte es am ewigen Eis. Seit Menschengedenken ist Fliegen, Reisen, ist Bewegung Metapher des besiegten Stillstandes, des überwundenen Todes. Seit mythischen Zeiten ist Ikarus auf der Flucht. Der Fortschritt schien dem Tod zu trotzen. Der Traum scheint ausgeträumt. Der Erfinder hat seine kindliche Unschuld verloren. Doch Kinder kennen die Katastrophe nicht. Noch im Untergang vernehmen sie die Klänge des Abenteuers.
Kinder und Künstler erfinden die Welt von neuem. Anders als Kinder können Künstler das Katastrophale an der Katastrophe nicht verdrängen. Und doch spielt auch für Künstler die Katastrophe eine andere Rolle als für den Funktionspragmatiker, den Profitfunktionalisten. Katastrophe und Chaos setzen Energien frei, aus welchen der Traum wächst wie Phönix aus der Asche. Phönix aber blieb verletzt und wurde als Albatros zum Gespött der Matrosen. Baudelaire, der frühe Dandy und an der Moderne erkrankte Künstler fand im Albatros das bemerkenswerte und noch heutige Bild-Gedicht für den Künstler als fliegenden Herrscher in der Freiheit der Visionen und für den armseligen Krüppel auf den Planken der Realität.19 Derart große Visionen werden heute mit der nötigen Diskretion und mit der Feuerzange der Ironiker, wenn nicht gar Zyniker gehandelt. Geblieben ist dennoch der Traum von der Freiheit der Lüfte und der Meere.
War das Kennzeichen des neuzeitlichen Denkens die Ablösung der Vertikalen des Mittelalters durch die Horizontale des…