Jutta Schenk-Sorge
1993 Biennal Exhibition
Whitney Museum of American Art, New York, 4.3. – 13.6.1993
Der Einstieg in die Schau wirkt noch vielversprechend. In der von Andrea Fraser konzipierten Audiotour für Besucher der diesjährigen Whitney Biennial gibt es nicht einen “Chefsprecher”, sondern viele. Denn die an der Ausstellung beteiligten Mitarbeiter äußern hier individuelle und auch widersprüchliche Ansichten zu den Werken. Das Whitney unterminiert bewußt seine eigene Autorität, um klarzumachen, daß es mehr als eine Wahrheit gibt – ein konsequenter Einstieg für eine Ausstellung, die dezidiert alternative Sichtweisen postuliert. Die Schau selbst erscheint dagegen alles andere als schlüssig. Anstatt die Vielstimmigkeit in der Kunstproduktion der letzten zwei Jahre zu suchen, der eigentliche Auftrag der Biennials, favorisierte man Diversität unter den Künstlern und wählte die 82 Teilnehmer nach Kategorien wie Minderheiten, Frauen, Homosexuelle oder Unbekanntheitsgrad aus. Außerdem wurden politisch-sozialkritische Werke bevorzugt, die auch noch primär um ein Thema kreisen. Zusammengefaßt unter dem omnipräsenten Schlagwort “identity”, geht es um die Frage nach dem Selbstverständnis des Individuums oder einzelner Gruppen und ihre Position in der Main-stream-Gesellschaft. Realitäten wie die “Homeless”, die Hoffnungslosigkeit der Ghettos oder die schwer zu ertragende Gewalttätigkeit dieser Gesellschaft kommen dagegen kaum vor. Diskriminierung als Thema ist eben “in” und das Whitney wiederum im Trend. Denn bereits vor drei Jahren organisierten New Yorker Museen “The Decade Show – Frameworks of Identities”, und selbst das Museum of Modern Art bietet jetzt “Readymade Identities” an. Vernichtende Kritiken erntete diese Biennial denn auch weniger aufgrund der Orientierung als der Qualität des Gezeigten. Offen oder verdeckt ist…