Dominique von Burg
La Critique n’existe pas?
Die neuen Biotope der Diskurshoheit
Ohne in den Chor vom Tod der Kunstkritik einstimmen zu wollen, werden im Folgenden die Gründe der Marginalisierung der Kunstkritik untersucht. Meine Recherchen gehen vom Kunstzentrum Zürich aus mit Blicken nach Hamburg, Wien, Paris und New York. Sie basieren auf Befragungen von hier im Kunstfeld aktiven Protagonisten, wie Feli Schindler, Bice Curiger, Daniel Morgenthaler und Guido Magnaguagno.1
Quantitative Zunahme von Texten zur Kunst
Dass Kunstkritiken in den Zeitungen und Zeitschriften immer mehr in den Hintergrund gedrängt werden, hängt zunächst mit der Entwicklung der Printmedien zusammen.2 So belegen Studien, dass 98 Prozent der Leser von Tageszeitungen im deutschen Sprachraum Ausstellungsbesprechungen nur selten oder nie zur Kenntnis nehmen. Dies erforderte in den späten Neunzigerjahren Restrukturierungsmaßnahmen. Damit war auch ein Generationswechsel verbunden, etwa bei der FAZ, der Zeit oder der Basler Zeitung. Die Produkte der neu zugezogenen jungen Medienleute hatten sich an ein breites Publikum zu richten, und insbesondere die Jugend wird vermehrt mit Berichten über Events wie Großausstellungen, Kunstraube oder Auktionsrekorde angesprochen. Diese Umschichtung der Themen verleitet selbst Die Zeit dazu, Interviews auf Kosten von Rezensionen den Vorzug zu geben. Somit werden kunstkritische Besprechungen immer mehr von Lifestyle-Rubriken vereinnahmt. Der damalige Versuch, das Spezialistentum abzubauen und ein breiteres Publikum zu erreichen, bewirkte eine Ausweitung des Kulturbegriffs bis zur völligen Verwässerung.
Parallel zur Regression der Kunstkritik als Tagesgeschäft ist am Zeitschriftenmarkt schon seit längerem eine regelrechte Aufbruchstimmung zu spüren. Während des Booms des Kunstmarkts in den Nullerjahren, als das Kunstsystem in einen Celebrity-Status rückte, schossen…