Spitzwegerich
Die Straßen waren vereist, über die Felder wirbelte der Schnee, die Nächte waren bitterkalt, als sich im Januar 1945 die ersten Flüchtlingstrecks in Ostpreußen in Bewegung setzten. Die Landstraßen mussten für die Wehrmacht frei gehalten werden, und so rumpelten die Panajewagen und Bollerwagen der Flüchtlinge über holprige Nebenstraßen in Richtung Westen, um sich vor der heranrückenden Roten Armee in Sicherheit zu bringen. In die leer stehenden Häuser zogen wenige Wochen nach Kriegsende im Mai 1945 Polen ein, denen Stalin die Ausreise aus jenem Teil der Ukraine erlaubte, der bis 1939 zu Polen gehört hatte, bis Hitler und Stalin das Land unter sich aufteilten. Bei Kriegsende betrug die Zahl der Bewohner Ostpreußens noch 2,4 Mill. Menschen, schätzungsweise 300.000 kamen unter den elenden Bedingungen der Flucht ums Leben. Die deutsche Performance- und Filmkünstlerin Verena Stenke und der italienische Künstler und Schriftsteller Andrea Pages („VestandPages“) wollen ab dem 8. Mai 2015 den umgekehrten Weg zurück legen und auf den Spuren der geflüchteten Vorfahren 1.000 km zu Fuß von Hemmingstedt in Schleswig-Holstein nach Insterburg / Chernyakhovsk gehen. Einen Monat lang dauert die Langzeitwanderung, die im Performancefilm „Spitzwegerich“ dokumentiert wird. Auf ihrem Weg in Etappen werden die unter anderem vom amerikanischen Sounddesigner Douglas Quin und dem Berliner Geiger Stephan Knies begleitet. Der Film besteht später aus „einer Montage aus Kunstaktionen, interkulturellem Dialog, poetischen Texten, Fundobjekten und Klanglandschaften. Das Projekt beleuchtet in einer Abfolge bewegter Bildern die Themen Erinnerung und Identität aus sozialen und geophysikalischen Blickwinkeln.“ www.vest-and-page.de