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Einstieg · von Jürgen Raap · S. 2 - 11
Einstieg , 2016

„Aber manchmal ist das Stille in einer Welt die völlig schreit stärker“

Zum Kunstforum Redesign 4.0
Ein Gespräch mit dem Art Director Mike Meiré

KUNSTFORUM international erscheint seit 1973. Bereits in den Jahren 1984 und 2001 wurde der grafische Auftritt überarbeitet. Zu diesem Band 242 erscheint KUNSTFORUM erneut in neuer Gestaltung. Verantwortlich für das neue Gesicht ist Designer, Künstler und Art Direktor Mike Meiré mit seinem Team von Meiré und Meiré. Seine Projekte im Editorial Design sind mehrfach ausgezeichnet worden und auch er selbst wurde 2006 von der Deutschen Lead Academy für Mediendesign zum „Visual Leader“ ausgezeichnet. Seit 2015 ist Mike Meiré Ehrenmitglied des Deutschen Design Club.

KUNSTFORUM: Herr Meiré, was hat Sie an der Aufgabe gereizt, das Redesign für KUNSTFORUM international, zu übernehmen?

Mike Meiré: Mit dem KUNSTFORUM bin ich groß geworden – ich habe selber noch Ausgaben aus den späten 70er und 80er Jahren, in irgendeiner Form war das immer da. Was ich schon immer interessant fand ist das KUNSTFORUM so etwas wie eine Instanz ist. Das mag daran liegen, dass es als Hybrid in die Welt gekommen ist. Es ist kein Magazin, und es ist auch kein Buch. Was ich eigentlich in der Definition heute, wie wir uns als Schwellengesellschaft definieren, schon mal per se sehr modern finde. Aber wenn man es sich dann unter den Aspekten der visuellen Gestaltung anschaut, hatte man doch schnell das Gefühl das es etwas aus der Zeit war. Das fand ich sehr eklatant, weil es ja eigentlich ein Produkt ist, das sich mit dem Geschehen und Entwicklungen der Zeit auseinandersetzt. Und darüber ja auch seine Unabhängigkeit im Markt etabliert hat.

Was mich dann beim ersten persönlichen Kontakt beeindruckt hat: KUNSTFORUM ist keinem großen Medienkonzern angeschlossen, sondern es ist ein „menschliches Unternehmen“ mit der Redaktion und mit den Autoren, und das hat eben diese Authentizität, das ist zwar so ein Modewort, aber es hat eben eine Aufrichtigkeit. Da wird etwas produziert von einer Gruppe von Menschen, die Überzeugungstäter sind – die von dem überzeugt sind was sie tun. Es ist kein Marketinginstrument, kein Corporate Magazin, etwas das oft produziert wird um Anzeigen zu generieren. Hier geht es aber tatsächlich um den Inhalt. Mich faszinieren solche kulturellen Identitäten: KUNSTFORUM ist ja gedruckte Kultur und gedruckte Geschichte, und damit bedeutet es viel mehr als nur bedrucktes Papier.

Als einzige Kunstzeitschrift im deutschsprachigen Raum, hat KUNSTFORUM ununterbrochen eine durchgängige Präsenz von 43 Jahren vorzuweisen. Fast alle renommierten Kunstkritiker haben in diesem Zeitraum Beiträge verfasst – es ist also eine Autorenzeitschrift, bei der eben nicht Lifestylethemen und Glamour im Vordergrund stehen, sondern eine sorgfältige und gründliche Durchleuchtung der Themen …

Ja, und deswegen ist KUNSTFORUM am ehesten in der Lage, eine Orientierung in dieser Kunstwelt zu geben, eben weil sie pluralistisch ist und unterschiedliche Perspektiven zulässt.

Der Kunstbetrieb und seine ökonomische Situation haben sich stark verändert. Die Museen leiden unter den Mittelkürzungen und der Einfluss der Sammler auf die Museen etc. wird viel größer. Damit haben Kunstkritiker heute nicht mehr jene Deutungsmacht wie sie in den 1980er und 1990er Jahren hatten. Ich beobachte die Marktsituation in meinem beruflichen Alltag aus sehr unterschiedlichen Perspektiven. Im Kunstbetrieb hat jeder einen anderen Blickwinkel. Immer mehr betrachten die Kunst als „Get together“, Kunst als Event. Nicht mehr als ein gesellschaftliches Nischenphänomen wie früher. Wenn weltweit 500 neue Museen gebaut werden und die Zahl der Galeriegründungen und die Zahl derjenigen, die Künstler werden wollen, so massiv zunimmt, dann ist das doch eine Maschinerie, die dabei Gefahr läuft sich selbst zu entwerten.

Das wird nicht alles kollabieren, sondern irgendwie weitergehen, aber dann ist es umso wichtiger, dass man als Kunstzeitschrift seine Position in diesem Gefüge erkennt und dies auch deutlich macht. Deswegen kann man den roten Balken auf dem Cover auch als Kritik am System deuten. Er drückt ein Gegen-den-Strich-Bürsten aus. Die Haltung hat sich ja in den 43 Jahren des Bestehens nie verändert, aber wir haben heute von allem zu viel: eben nicht mehr nur zwei Kunstmessen, sondern vielleicht 100 weltweit, und solch einer verschärften Wettbewerbssituation muss sich auch KUNSTFORUM stellen. Natürlich geht es um den Inhalt, aber der Inhalt dringt nicht mehr durch, wenn er im Design nicht zeitgerecht aufbereitet wird, und so ist ein Redesign heute auch unserer zunehmend digitalisierten Welt mit all ihren Kommunikationskanälen und sozialen Medien etc. geschuldet.

Als Art Director, Gestalter und Künstler bewegen Sie sich an einer Schnittstelle von Kunst und Design und haben selber auch eigene künstlerische Projekte realisiert, u.a. in der Projektreihe Dornbracht Culture Projects. Bewegen Sie sich dann bei der Zusammenarbeit mit der KUNSTFORUM-Redaktion eher auf einem vertrauten Terrain als bei Kontakten zu ganz anderen Branchen etwa im Sanitärfachbereich oder in der Autoindustrie, wo man vielleicht erst in einem zweiten Schritt bei der Produktgestaltung oder Produktpräsentation auch kulturelle Aspekte kommunizieren kann?

Weil ich mich schon immer für Kunst interessierte, habe ich sicherlich intuitiv ein sensibilisierteres Empfinden für Ästhetik entwickelt. Es geht bei diesem Redesign zwar in erster Linie um Handwerk, aber ich denke, es muss dennoch zugleich ein ureigenes Interesse an der Kunst da sein. Und darüber zu reden, ist für mich schon aufregender als z.B. über hybride Motorentechnologie in der Autoindustrie, wobei diese auch auf ihre Weise faszinierend sein kann, aber die Kunst liegt mir natürlich näher. Ich erlebe oft, dass Initiatoren einer Automesse auch die künstlerische Interventionen in ihrer Event geprägten Markenarchitektur suchen, um Aufmerksamkeit zu generieren. Aber beim Redesign von KUNSTFORUM geht es eher darum, wie man solche Zeitphänomene entschleunigen, fast neutralisieren könnte, damit es auch noch Jahre später als Kompendium funktioniert. Dabei ist das Design eigentlich nur Mittel zum Zweck.

In der visuellen Kommunikation hat ja bekanntlich gerade das Logo, einer Marke oder einer Zeitschrift eine sehr starke Ankerbindung an das Publikum, denn von seiner Zeichenfunktion her soll es einen Wiedererkennungswert garantieren. Bei Ihrem Konzept für das Redesign fällt hingegen als erstes auf, dass auf dem Cover vom ursprünglichen Schriftzug als signifikantes Merkmal auf den ersten Blick nur der rote Balken übrig bleibt. Er wird vergrößert. Was war also die Ausgangsidee bei der Neugestaltung des Covers und des Logos?

Die Frage hierbei ist ja: glauben wir noch so stark an Marken wie wir es in den 80er, 90er getan haben? Ich glaube nicht. Wir erleben ja im Marketing eine unglaubliche Markenerosion. Alles wird immer gleicher. Deswegen wird für mich zunehmend relevanter, wie wir über eine Marke sprechen. Ich glaube, dass es wieder viel wichtiger ist, dass innerhalb einer Szene der Respekt für etwas ausgesprochen wird, eine Art Komplizenschaft eingegangen wird. Im Prozess des Redesign hatten wir ursprünglich zwei Routen ausgearbeitet, aber je länger ich mich mit dem Redesign auseinandergesetzt habe, tendierte ich wirklich zunehmend zur dieser jetzt realisierten Route. Sie erschien mir zwingender, eigenständiger und verspricht für ein Kompendium wie KUNSTFORUM der konsequentere Weg. Ich weiß, es ist ambitioniert, aber so wie ich unsere Zeit wahrnehme braucht es genau das. Haltung, Orientierung und Courage. KUNSTFORUM muss nicht mit den anderen Magazinen wie Art oder Monopol buhlen. Es ist etwas Eigenes. Die Frage aus gestalterischer Sicht war: Wie kann ich KUNSTFORUM so gestalten, dass es nicht reiner Informationsträger, sondern auch Objekt ist. Weil es nachhaltig sein soll. Es ist eben auch ein Nachschlagewerk. Und deswegen erschien es mir richtig das KUNSTFORUM Logo statt aufs Cover, auf den Rücken zu setzen. Es wird kryptischer, es kommuniziert fast weniger aber offenbart viel mehr von seinem Anspruch. So ein gedrucktes, gelebtes ‚Ad absurdum‘ in sich. Was ich ja für so ein Medium, für so ein Organ fantastisch finde. Ich glaube dieses No-Branding oder diese Verweigerungshaltung darin ist im Nachhinein ein viel aktiveres Branding. Was man wahrscheinlich erst im zweiten oder dritten Anlauf fühlen wird.

Lässt sich der Vorgang so beschreiben, dass Sie das alte Cover erst auf ein wesentliches Element entkernt haben, wie in der Architektur, um anschließend das, was dann übrig blieb, neu aufzubauen?

Ich habe ja in den 90ern mit Peter Saville in London zusammen gearbeitet, er hatte natürlich auch Einfluss auf mein Werden als Gestalter und er sagte, wenn du soweit reduzierst, bis es nicht mehr geht, dann bleibt nur das Bestehen was wirklich ist. Ich möchte etwas gestalten, was für das jeweilige Produkt, für seine Marke und in seinem jeweiligen Kontext funktioniert. Deswegen ist die Arbeit am Redesign schon ein Entschlackungsprozess gewesen. Das ist ja die schwierigste Aufgabe eines Gestalters mit drei, vier Elementen eine perfekte Komposition zu schaffen, anstatt mit 30 Effekten zu arbeiten. Und das ist dann schon auch irgendwie alte Schule. Es wäre vielleicht naheliegend gewesen, uns einfach an den ersten schwarz/weiss Ausgaben zu orientieren, aber das wäre nicht richtig – dann sind wir schnell in dieser Nostalgiefalle. Dann wollen wir etwas was wir früher cool fanden, weil wir so ein bisschen sauer sind auf die Gegenwart. Und das funktioniert nicht. Wir müssen ja nicht marketingtechnisch zwingend einen Zukunftsoptimismus verbreiten, aber wir müssen uns schon darauf einlassen wie sich die Dinge eben verändern. Und die verändern sich. Mit uns oder ohne uns. Wenn heute etwas neu gestaltet wird, ist das oft nur ein Make Up im Sinne von Verschönerung, oder aber es geht um etwas Essenzielles. Da die Printmedien heute im Wettbewerb mit digitalen Medien stehen, sollte man heute auch vieles aus der Perspektive der digitalen Welt her denken und das dementsprechend in Print überführen, aber nicht so, dass Print das Digitale kopiert. Denn es ist ja nicht digital. Aber unsere Seh- und Lesegewohnheiten werden in einer immer mehr zunehmenden digitalisierten Gegenwart natürlich völlig neu konditioniert. Und dann KUNSTFORUM International jetzt nur noch unter den Balken zu setzen, wie eine Webadresse, diese Information „by the way – KUNSTFORUM International“, statt ganz groß, wie früher, das ist in diesem Kontext ja auch schon lässig, so ein „Modern Bug“.

Wie hat sich dieser Ansatz auf das Redesign des Magazininnenteils ausgewirkt?

Der Innenteil ist evolutionär verändert, aber das Cover auf revolutionäre Weise, denn Cover und Verpackung spielen eine andere Rolle als der Inhalt. Wenn man es dann durchblättert, wird man schon merken, dass es frischer, klarer, aufgeräumter und strukturierter ist. Es ist lesefreundlicher in jenem Sinne. Das heißt: es gibt ab und zu Freiraum, um durchatmen zu können, aber wir bleiben trotzdem bei der Dichte, denn die inhaltlichen Parameter verändern sich ja nicht. Sicherlich wird man merken, dass der Umgang mit Fotografie ein anderer ist –wir gehen mehr in Anschnitte. Der optische Auftritt wird nicht geschönt, aber er wird nach einer anderen Matrix asymmetrischer, so dass man nicht schon weiß, was auf der nächsten Seite kommen wird. Als Leseschrift haben wir eine klassische Serife gewählt, die Sabon, weil sie lesefreundlicher ist, aber auch, weil sie aus der Buchkultur kommt. Wahrscheinlich wird nur der Typograph erkennen, dass wir bei der Schrift von der Times zur Sabon gewechselt haben. Der Leser wird aber spüren, dass sich die Texte leichter und harmonischer lesen lassen. Dann bei der Abbildung einer lauten, faktischen Welt z.B. in Veranstaltungskalendern, will man schnell die notwendige Info über Ort und Zeit registrieren. Aber bei anderen, längeren Texten braucht man auch physisch Zeit. Es geht doch hier um die Vermittlung künstlerischer Positionen und um die kulturelle Vermittlung.

Bei diesem Umfang im Buchformat bekommt der Weißraum zwischen den Texten eine ganz andere Wertigkeit als bei klassischen Publikumszeitschriften …

Richtig, denn dort ist es eher ein Gestaltungselement, mit dem man Aufmerksamkeit erzielt. Aber beim KUNSTFORUM besteht die Notwendigkeit, dass das Auge auch mal ruhen muss: Damit die Konzentration bei der Lektüre nicht ermüdet, muss zwar das Design mit dem Inhalt auf Augenhöhe sein, aber wir machen kein Design, das den Autoren Kürzungen bei seiner inhaltlichen Aussage abverlangt, das wäre kontraproduktiv, weil KUNSTFORUM ja ein Autorenprodukt ist. Es geht um Relevanz; es geht um Qualitätsjournalismus, aber diese Form muss auch herausgearbeitet werden.

KUNSTFORUM ist keine Publikumszeitschrift, die sich optisch in der Auslage eines Kiosks oder im Zeitschriftenregal behaupten muss, sondern wird zum größten Teil im Abonnement vertrieben und gesammelt. Dann ist die Frage redundant, ob Ihr Konzept des Covers mit dem roten Balken anstelle des ursprünglichen KUNSTFORUM auch als Werbefläche für den Impulskäufer funktionieren muss.

Trotzdem spielt die Veränderung des Covers, also die äußerlichen Darstellung von KUNSTFORUM auf diese Weise eine wichtige Rolle um neue Leser zu gewinnen. Unsere Alltagskultur ist oberflächlicher und populistischer geworden, das Cover als Verpackung muss sich in einem Meer von Angeboten durchsetzen. Aber Manchmal ist das Stille in einer Welt die völlig schreit stärker. Weil es nicht mit den anderen mitschreit, weil es die eigene Identität nach außen kehrt. Weil es sich zurücknimmt, vielleicht auch von Einigen übersehen wird, aber von denen die dafür empfänglich sind, sehr viel bewusster wahrgenommen wird.

Sie werden beim KUNSTFORUM auch weiterhin als Art Direktor mitwirken. Mit diesem neuen Design wappnet sich KUNSTFORUM für die Zukunft?

Wir erhoffen uns, dass KUNSTFORUM über das Redesign mehr Power entwickeln kann, in jenem Sinne, wie wir eben über Branding sprachen. Das hat – wie gesagt – nichts mit einer Veränderung von Inhalten zu tun, aber mit der Steigerung des Bekanntheitsgrads eines Mediums, das für Relevanz einsteht. Wenn die Titelgestaltung mehr Plakatfunktion haben soll, geht es dabei nicht um Pop, sondern um die visuelle Ikonisierung von Inhalten. Und damit verbindet sich der Wunsch, dass KUNSTFORUM sich für die Zukunft als eine Art Hauszeitschrift des Kunstbetriebs behaupten kann.

Dieses Gespräch wurde von Jürgen Raap im Namen von KUNSTFORUM geführt.