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Fragen zur Zeit · von Michael Hübl · S. 28 - 30
Fragen zur Zeit , 2011

Michael Hübl
Inside-Out

In welchem Verhältnis stehen die Künstler heute zur allgemeinen Gesellschaft?

Aussenseiterkunst. Um es auf Schweizerdeutsch zu sagen: Das tönt seltsam. Fraglos versteht jeder, der mit Kunst zu tun hat und das Faltblatt des Kunstmuseums Thurgau 1 in Händen hält, dass mit Aussenseiterkunst (bundesdeutsche Schreibweise: Außenseiterkunst) Zeichnungen, Collagen, Malereien oder Objekte von Menschen gemeint sind, die nicht aktiv am „Betriebssystem Kunst“ teilnehmen oder die eine solche Integration mit Entschiedenheit ablehnen. Bilder und Gegenstände von zivilisationsfernen Eigenbrötlern oder phantasiebesessenen Freaks fallen ebenso in diese Kategorie wie das, was im frühen 20. Jahrhundert von Marcel Rèja als „Die Kunst bei den Verrückten“2 oder von Hans Prinzhorn als „Bildnerei der Geisteskranken“3 charakterisiert und damit ungewollt-unterschwellig als Materialfundus vorbereitet wurde für die nationalsozialistische Diffamierung der modernen Kunst, insbesondere des Expressionismus. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs (und mit ihm des NS-Systems) setzte sich zunächst der von Jean Dubuffet geprägte Begriff Art Brut durch, der einer Läuterung gleichkam, denn er befreite die ästhetischen Entäußerungen, die nach damaligem Verständnis abseits jeder seriösen Kunst lagen, vom Odium der Bewahranstalten und Irrenhäuser. Inzwischen allerdings hat sich offenbar der von Roger Cardinal Anfang der 1970er-Jahre eingeführte Begriff der Outsider Art 4 etabliert – eine terminologische Verlagerung, die mit den Intentionen Dubuffets korreliert, denn der Grenzgänger zwischen Weinhandel und Wahrheitsfindung, der in der Mitte seines Lebens alles Erlernte umstürzte und alles Akademische hinter sich ließ, wollte die Deutungshoheit über das, was als Art Brut Gültigkeit besitzt, höchst ungern abgeben. Auch von daher, also bezüglich der Urheberschaft und ihrer Umstände, liegt…


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