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Essay · von Florian Rötzer · S. 288 - 297
Essay , 2004

FLORIAN RÖTZER
KUNST UND WISSENSCHAFT

ASPEKTE EINER VIEL BESCHWORENEN LIAISON

Fraktale und die Entdeckung der visuellen Schönheit

Vor einigen Jahren noch konnte man sie überall sehen, die neuen, bunten computererzeugten Bilder der Wissenschaft. Fraktale Geometrie und Chaoswissenschaft waren in Mode. Es gab Ausstellungen mit computererzeugten Visualisierungen mathematischer Formeln, auf den Buchumschlägen und in Zeitungen waren die Bilder zu finden, die bunt, bewegt und gleichzeitig so ordentlich und sauber erschienen. Plötzlich war alles dynamisch, nichtlinear, selbstorganisierend, selbstähnlich.

Überall in der Natur entdeckte man denn auch die mathematischen Modelle “im Spannungsfeld von Ordnung und Chaos”, wie es hieß. Komplexität schien einfangbar zu sein und war vor allem dank des Computers darstellbar. Schönheit sah man etwa dadurch bedingt, in der Komplexität das Gesetzmäßige sehen zu können bzw. aus dem Einfachen Komplexes oder auch Neues entstehen lassen zu können. Exakte Naturwissenschaft schien sich damit dem Individuellen nähern zu können, für das in der Theorie der Zwei Welten in der Gesellschaft Kunst, Kultur oder die sogenannten Geisteswissenschaften zuständig waren, ohne die Vorhersagbarkeit und vor allem Berechenbarkeit aufgeben zu müssen. Die Welt war plötzlich in der Wissenschaft nicht mehr abstrakt und grau, sondern bunt und belebt. Verklärt oder wie im Taumel schrieb etwa John Briggs 1993 auf dem Höhepunkt der Modewelle:

“Die Wissenschaftler sind durch die Erforschung des Chaos unverkennbar für die ästhetische Erfahrung der Kunst sensibilisiert worden.”

Die Wissenschaftler hätten nach Briggs also nicht nur die womöglich ästhetischen Dimensionen der von ihren erzeugten Bildwelten erkannt, sondern haben darüber angeblich auch einen Zugang zur Kunst gefunden – freilich in aller Regel nicht…


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