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Titel: Essen und Trinken II · von Jürgen Raap · S. 256 - 259
Titel: Essen und Trinken II , 2002

SCHLACHTEN UND SCHLACHTFESTE

< BLUT < FLEISCH

Schlachtfeste feierte man früher traditionell in den letzten fünf Wochen vor Weihnachten. Im Spätherbst wurde vor dem Winter zum letzten Mal geschlachtet. Dann wartete man bis zum Frühjahr ab, bis die Muttertiere Jungtiere geworfen hatten, oder bis die Ferkel und Kälber so weit herangewachsen waren, dass man das Muttertier schlachten konnte. Bei Hirschen z.B. setzt die Brunftzeit im Frühherbst ein. Die anschließende Tragezeit der Hirschkühe dauert in einem “natürlich” programmierten genetischen Code in Relation zum Jahreszeitenzyklus so lange, dass die Jungen dann gegen Ende der Frostperiode geboren werden und so vor dem nächsten Winter schon kräftig genug sind. Für die Jäger beginnt dann mit dem Frühjahr die Schonzeit.

Bei der Stallhaltung von Zuchtvieh ignoriert man heute diese natürlichen Zyklen: Künstliche Besamung lassen die Bauern von den Tierärzten zu einem ökonomisch genehmen Zeitpunkt vornehmen, und in den Ställen der Massentierhaltung hat man spezielle “Ferkelbuchten” eingerichtet, die ganzjährig gleichmäßig temperiert sind.

Als die Landwirtschaft noch keinen agrarindustriellen Charakter hatte, war das Schlachtfest ein Höhepunkt im Dorfleben, an dem die gesamte Bevölkerung Anteil hatte.

Was seit Pieter Brueghel die niederländische Malerei an Schlachtfest-Darstellungen überliefert hat, vermittelt uns ein anschauliches Bild von jenem Treiben. Man lud dazu Nachbarn und Verwandte ein; auch der Dorfpfarrer bekam ein großes Stück Fleisch ab. Das Rind oder Schwein wurde mit zusammengebundenen Hinterläufen am Scheunentor oder an einem Balkengerüst aufgehangen. Das Ansetzen des Schlachtmessers am vorher betäubten Tier überließ der Bauer in der Regel dem Dorfmetzger, und wo es einen solchen nicht gab, sprang zumeist der örtliche Gastwirt mit seinem handwerklichen Know How ein. Das warme Blut fing man in großen Schüsseln auf. In Süddeutschland kochte man daraus eine Metzelsuppe, am Niederrhein “Schweinepfeffer” mit Fleisch- und Schwartenstücken. Auch woanders wurden Würste und Innereien in diesem Blut gekocht und dann während des zumeist mehrtägigen Schlachtfests verzehrt. Das übrige Fleisch machte man durch Trocknen, Pökeln oder Räuchern für den Winter haltbar.

Diese Vorräte waren in der Regel Ende Februar/Anfang März aufgebraucht, so dass die nachfolgende vorösterliche Fastenzeit nicht nur theologische, sondern auch ökonomische Gründe hatte. Man musste sich mit Winterkohl begnügen, bis es im April das erste junge Frühjahrsgemüse gab, oder mit Fisch, sofern Flüsse, Seen und Teiche nicht mehr zugefroren waren.

Während des gesamten Mittelalters herrschte eine “kleine Eiszeit”, in der es im Winter bedeutend kälter war. Erst ab dem 16./17. Jahrhundert wurden die Winter wieder milder. Hausschlachtungen sind in Deutschland heute nur noch in entlegenen ländlichen Gebieten üblich. In Nordrhein-Westfalen ist schon seit einigen Jahrzehnten für alle Gemeinden ab einer gewissen Größenordnung ein “Schlachthofzwang” sogar gesetzlich vorgeschrieben. In vielen Großstadtmetzgereien und Supermarkttheken fand man vor wenigen Jahren hauptsächlich Fabrikware in der Auslage.

Doch je kritischer und sensibler die Verbraucher auf künstliche Farb- und Konservierungsstoffe reagieren, auf die nach EU-weitem Lebensmittelrecht völlig legalen Zutaten wie Östraditol, Phosphaten, Citraten, Glyceriden, Lacton oder Blutplasma, setzt sich nicht nur bei Öko-Metzgern wieder mehr eine handwerkliche Tradition durch – auch andere Metzger setzen auf den Trend, anstatt Fabrikpastete hauptsächlich Produkte aus der eigenen Wurstküche anzubieten.

Mit zwei Präzedenzfällen hatte der Europäische Gerichtshof den Lebensmittelchemikern freie Bahn gegeben. 1986 traf es zuerst die deutschen Brauer und Bierverlage. Seitdem dürfen sie keine Bierimporte aus dem EU-Ausland mehr abwehren, wenn diese nicht dem deutschen Reinheitsgebot von 1516 entsprechen. An den Trinkgewohnheiten hat das Urteil nichts geändert – nach Auskunft des Marketingchefs einer Kölner Brauerei bevorzuge der deutsche Biertrinker nach wie vor seine regionalen Pils-, Alt- oder Kölschsorten.

Ein ähnliches höchstrichterliches EU-Urteil traf kurze Zeit später die deutschen Metzger – im britischen Hot Dog dürfen nämlich schon lange weitaus mehr pflanzliche Bestandteile, z.B. Sojamehl, enthalten sein als im Frankfurter Würstchen oder der Berliner Bockwurst. Da man jedoch auch deutschen Pasteten Pilze, Gemüsepaprika und Pistazien beifügt und ebenso die klassische Frikadelle Brot als Bindemittel und als billige Vermehrung der Ausgangsmenge an Hackfleisch aufweist, mochten die höchsten EU-Richter nicht glauben, dass in den deutschen Wurstfabriken überwiegend nur Fleisch und Tierfett in die Kessel eingerührt wird.

Nach dem Prinzip, was in einem EU-Land erlaubt ist, darf in den anderen Mitgliedsstaaten nicht verboten werden, konnten inzwischen Hamburger Einzug in die Imbiss-Kultur halten, bei denen die Rezeptur alles Mögliche aufweist. Seitdem preist Mc Donald’s seine Bräter in den hiesigen Filialen ausdrücklich als aus “purem Rindfleisch” bestehend an, und die Metzgerverbände halten in ihren Annoncen die Tradition der deutschen Leberwurst hoch. Doch die westfälische Mettwurst und der bayerische Leberkäs sehen sich keineswegs einem Verdrängungswettbewerb durch spanische Chorizo und britischen “Black Pudding” ausgesetzt, denn ähnlich wie die Biertrinker folgen auch die Fleischkonsumenten vertrauten Geschmackserfahrungen und Essgewohnheiten.

Hermann Nitsch verweist in seinen Schlachtritualen zwar auch auf die Volkskultur, romantisiert aber keineswegs das bäuerliche Leben, das auch in Österreich seit einigen Jahren nach EU-Normen abläuft. Allerdings gibt es umgekehrt in der zeitgenössischen Kunst so gut wie keine Bilder von den Zerlegekolonnen, die auf den modernen Schlachthöfen im Akkord arbeiten. Der Maler Oliver Jordan z.B. reflektiert mit seinem Schlachtmotiv ausdrücklich eine kunsthistorische Bildtradition, vor allem bei Rembrandt, freilich ohne dabei den ethischen Fragen unseres Umgangs mit Schlachttieren auszuweichen (s. Interview). Jürgen Wenzels “Schlachthausbild” (1986) knüpft ebenfalls an den vertrauten kunsthistorischen Topos mit ausgebreitetem Tierkörper an, und der Künstler abstrahiert in der expressiven Malweise das reale Geschehen.

Arno Rink hingegen zielt auf eine ganz andere Bildwirkung: Sein Motiv “fleischschneiden” (1989) zeigt in realistischer Darstellung einen Metzgergesellen, der mit einem großen Messer einen blutigen Klumpen Fleisch zerteilt. Daneben steht ein noch lebendes Kalb, dessen Kopf sich von dem Geschehen abwendet. Leben-Töten-Schneiden sind Momente einer chronologischen Bilderzählung, wobei aber das Töten selbst nicht sichtbar ist, sondern nur als “Vorher” (noch lebendes Kalb) und “Nachher” (rohes Fleisch) thematisiert wird.

Der Künstler Karl-Heinz Mauermann lud für August/September 2000 “arrivierte Künstler und Newcomer” zur Ausstellung “Hoch lebe das edle Handwerk der Schlächter” auf dem Hof einer ehemaligen Essener Metzgerei ein. Der Titel steht auf einer Schrifttafel, mit der sich im Jahre 1913 die Bediensteten des Essener Schlachthofes fotografieren ließen.

Bereits seit 1996 hatte Mauermann Jahr für Jahr in jedem Sommer Künstlerkollegen die Möglichkeit geboten, mit ihren Arbeiten “auf den bizarren Charme” der ehemaligen Fleischerei zu reagieren. Unter dem Titel “schlachten zerlegen verwerten” wurde 1996 von Mauermann und seinen Mitstreitern die “bisherige Funktion der Gebäude als Handwerksbetrieb” durch Verfremdung und Umfunktionierung “künstlerisch verwertet”.

Ein Jahr später boten die Teilnehmer per Film und Video eine künstlerische “Sicht auf Fleisch”. Das Programm “Fleisch – eine Zerlegung in Einzelbilder” erstreckte sich “vom Schlachtvorgang bis zur Peep Show”.

1997 lautete die Frage: “Wie sieht unsere Wurstküche aus?” Diese Frage hatte während des 2. Weltkriegs der Metzgermeister immer wieder per Feldpost aus dem fernen Russland seinen Angehörigen gestellt. Derlei Sorge umtrieb ihn auch noch, als er in Kriegsgefangenschaft geraten war, denn immer wieder taucht diese Frage in seinen Briefen und Postkarten auf. An dieser Geschichte machte sich in der dritten Ausstellung auf dem ehemaligen Metzgerhof die künstlerische Thematisierung von “Erinnern, Vergessen, Vergangenheitsbewältigung” fest.

Und unter dem Label “noch schlächter” wagte man sich schließlich 1999 “an der Grenze zum Trash” an künstlerisch-ästhetische “Geschmacklosigkeiten” heran, “bürgerliche Bildvorstellungen verunsichernd”. Auch im Jahre 2000 gab es durchaus Unappetitliches in der alten Metzgerei zu sehen – z.B. eine Installation mit zwei herausgelösten Augäpfeln.

Jürgen Raap