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Ausstellungen: Berlin/Kiel · von Marius Babias · S. 369 - 370
Ausstellungen: Berlin/Kiel , 1995

Marius Babias

Memento:
Kunst – Geschichte – Gedenken

»Positionen zeitgenössicher Kunst aus Berlin«
Haus am Waldsee, Berlin, 6.5. – 18.6.1995
Stadtgalerie im Sophienhof, Kiel, 18.8. – 8.10.1995

Das Mikrofon wird aufgebaut, die Festredner treten vor, das Publikum verstummt und lauscht. Man kennt das Zeremoniell: Begrüßung, Danksagung und – da es um das komplizierte Verhältnis zwischen Kunst und Geschichte geht – salbungsvolle Einführung in die Materie. Diesmal ist es ganz anders. Barbara Straka, die neue Leiterin des Hauses am Waldsee und zugleich Kuratorin der zuvor in der Galerie der Hauptstadt Prag gezeigten Ausstellung, ist gleich zweimal anwesend und spricht stereo: real vor uns stehend und dann noch lebensgroß auf einem Foto, das zu ihrem Rücken hängt. Dieses Foto entstand 1991 anläßlich der Ausstellungseröffnung “Interferenzen” in St. Petersburg und zeigt die damals aus Berlin angereisten Festredner. Straka, Roloff-Momin, Momper u.a. posieren vor der “Tätergedenkstätte”, einer ebenso formal schlichten wie politisch brisanten Banderole. Sorgte diese Arbeit schon damals für Irritationen, weil sie in einer chiastischen Umklammerung scheinbar der Täter und nicht der Opfer des Nationalsozialismus gedachte, treibt jetzt derselbe Künstler – Thomas Kunzmann – die ritualisierte Entleerung der Gedenkkultur derart auf die Spitze, daß uns die Krokodilstränen kommen: ein hervorragendes Beispiel für “Kontextualismus”, für das Ent-zwiebeln von Ästhetik und Politik.

Nicht genug damit, daß wir Zeugen unserer Unaufrichtigkeit werden, Kunzmann mutet uns – indem er einen Sekt namens “50 Jahre Kapitulation / 50 Jahre High Life” kredenzen läßt – noch eine andere Wahrheit zu: das ritualisierte Gedenken ist eine Wahlkampfparty des schlechten Gewissens. Die symbolischen Gesten bei Staatsakten,…


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