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Fragen zur Zeit · von Michael Hübl · S. 26 - 29
Fragen zur Zeit , 2013

Michael Hübl
Fröhliche Müllmänner

Über lockere Sprüche im Umgang mit der Kunst

Kommt Zeit, kommt Zitat. Jede Epoche hat ihre Lieblings-Sentenzen. Abhängig von dem, was unter den gegebenen historischen und sozialen Bedingungen als Wissen oder Halbwissen kursiert, werden etwa literarische Formulierungen herangezogen – „Dichterworte“, wie es einstmals steifleinen hieß, wenn Honoratioren ihre Sonntagsreden hielten. Mal Goethe („Denn was man schwarz auf weiß besitzt/ Kann man getrost nach Hause tragen“; 1, mal Schiller („Von der Stirne heiß/ Rinnen muss der Schweiß“; 2. Ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde es zudem möglich, vage memorierte Film-Sequenzen („Schau mir in die Augen, Kleines!“; 3 lässig ins Party-Geplänkel einzustreuen oder existenzphilosophische Thesenhuberei mit Adorno zu kontern („Es gibt kein richtiges Leben im falschen“; 4. Walter Kempowski, der emsige Belegstellensammler bürgerlich-kleinbürgerlicher Befindlichkeiten, hat in seiner „Deutschen Chronik“ dem Drang, mit wohlfeilen Phrasen zu prunken und zu punkten, ein ironisches Denkmal gesetzt. Für die Nummer Fünf seiner neunbändigen Reihe, von Kempowski bereits 1972 im Anschluss an „Tadellöser & Wolf“ herausgebracht, wählte der akribische Literat sogar eines der geflügelten (oder besser: flügellahmen?) Worte als Titel: „Uns geht’s ja noch gold“ 5.

Zu den jüngeren Trends gehört, dass sich seit vielleicht eineinhalb Jahrzehnten Karl Valentin postum einen festen Platz im Platituden-Ranking erobert hat. Nicht, dass seine praxisnahe Feststellung „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“ eine Platitude wäre. Und dass der Satz just in seiner Geburtsstadt München, dem Ort der Erfolge und des Elends, zum Motto eines musealen Werkberichts gewählt wurde 5, darf man durchaus als Reverenz…


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