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Titel: Das Neue Ausstellen · von Paolo Bianchi · S. 42 - 43
Titel: Das Neue Ausstellen , 2007

Das Neue Ausstellen
Ausstellungen als Kulturpraktiken des Zeigens I + II

Herausgegeben von Paolo Bianchi

„Die Termine von Eröffnungen, Vorträgen, Führungen, Podien und Pressekonferenzen stellen einen mehrfachen Overkill dar. Neben der lokalen Szene will man doch auch noch Manifesta, Biennale und Documenta mitnehmen. Neue Entdeckungen auf den Diplomausstellungen machen, alternde Stars in viel zu großen Retrospektiven ehren, globale Perspektiven in China, Indien und Afrika bedenken, Ausstellungen im öffentlichen Raum würdigen, junge Kuratoren in ihren mehr oder weniger originellen Bespielungen ihrer eigenen Küche unterstützen. Längst hat das Format ‚Ausstellung’ den klassischen Besuch in der ständigen Sammlung vergessen lassen. Kunst findet statt und alle müssen sich beeilen, in kurzen Momenten Gleichzeitigkeit erfahren zu dürfen.“ Dieses Zitat des Berner Kunsthistorikers Peter Schneemann lässt offen, ob sein im vorliegenden Heft in voller Länge nachzulesender Text als Polemik, Huldigung oder Verteidigungsrede des Ausstellungswesens und Kuratorenstandes verstanden werden will.

Sein Fazit ist jedenfalls von Nüchternheit geprägt: „Ebenso müßig und überflüssig wie das Gerede um Ende und Wiederauferstehung der Malerei wird auch die Institution Ausstellung über alle Neubefragungen hinweg Bestand haben.“ Der Band „Das Neue Ausstellen“ unternimmt genau eine solche Neubefragung und Wiederkehr des Neuen, weil sich die herkömmliche Ausstellung allmählich der Aufführung, der Inszenierung und dem Spektakel nähert. Der Akt der Präsentation wird zu einem Ereignis, das die ästhetischen Objekte erst hervorbringt und die Bedeutung der Dinge erst im Dialog zwischen Zeigendem, Betrachter und Gezeigtem erschließt.

Der Band „Das Neue Ausstellen“ ist keine Anleitung zu einem Paradigmenwechsel im Betriebssystem Kunst. Das Kunstsystem lebt – sofern es lebt – vom Diskurs mit früheren Ausstellungen, Bewegungen und Werken. „Das Neue Ausstellen“ ist somit eine Untersuchung über die Umsetzung kuratorischer Modelle im Ausstellungswesen. Bekanntere Modelle lauten: Wunderkammer, Kunsthalle, Oberlichtsaal, White Cube oder Archiv (siehe den Einführungstext mit den Bildkommentaren von Christoph Lichtin). Neuere Modelle benutzen die Metapher des Schneeballs, der Monstranz oder Wolke (siehe den Beitrag von Martin Heller). Der Kurator muss Bedingungen schaffen, damit sich etwas wirklich Neues einstellen kann: ein Stadtplan, Smart-Car, Gulden, Bizz-Board oder eine Telefonkarte sind großartige Orte für Kleinstausstellungen und mit Tisch, Lampe, Stuhl, Sofa, Bett als Kunstimitate des Alltags lässt sich bequem „schöner Wohnen“ (siehe den Beitrag von Moritz Küng). Wer das „Ausstellen ausstellt“ arbeitet mit Ausstellungen als Struktur, Display und Inhalt, als Dialog, Netzwerk und Widerspruch (siehe den Beitrag von Julie Ault und Martin Beck). Texte zum Inszenieren von Wirklichkeit, Architektur und Autos runden den Band ab.

Ausstellen lassen sich nicht nur Bilder, Gemälde, Skulpturen und Zeichnungen, sondern auch Sport, Autos, Geld, Gott, Filme und vieles andere mehr (davon handelt Teil2 der Titeldokumentation). Hier knüpft das Zürcher Forschungsprojekt „Ausstellungs-Displays“ an, das von 2005–2007 am Institute Cultural Studies der Hochschule für Gestaltung und Kunst stattgefunden hat. Die Sensibilisierung für die Innovationsreserven des „Mediums Ausstellung“ wird zu einem der wichtigsten Kulturthemen der kommenden Jahre werden. Denn ausstellen kann man alles, und die ausstellenden Institutionen werden immer zahlreicher.

„Was ist eine Ausstellung?“ So lautete der Titel der im vorliegenden Heft dokumentierten Veranstaltung im Juni 2005 im OK Offenes Kulturhaus Oberösterreich in Linz. Die zweite Veranstaltung „Neues Ausstellen“ im Herbst 2006 im Kunstmuseum Thurgau in der Kartause Ittingen umfasste unter anderem einen Dialog zwischen Kurator/innen und einen Erfahrungsaustausch darüber, wie diese als Praktiker Dinge und Bilder zum wahrnehmenden Subjekt in Beziehung setzen. Das Fazit lautet: Das Neue Ausstellen ist ein Ausdrucksmittel der Suche und Erforschung, des Experimentierens und Probehandelns, des Fragens und Appellierens. Wer diesen Sommer nach Venedig, Kassel, Münster und Lyon reist, ist angehalten zu überprüfen, ob das „Medium Ausstellung“ als experimentelle Probebühne immer noch genug Sex Appeal, Elan vital und Verve verströmt. Dabei ist nicht zu vergessen: Man (sprich der Kurator) muss etwas Neues machen, um etwas Neues sehen zu geben.