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Titel: Die Kunst der Selbstdarstellung · von Hans-Jürgen Wirth · S. 90 - 103
Titel: Die Kunst der Selbstdarstellung , 2006

Hans-Jürgen Wirth
Die Macht und das Selbst

(RAF-)Terroristen, Fanatiker und Politiker auf der Couch

I. Zur Psychoanalyse von Narzissmus und Macht

«Keine Macht für niemand», lautete einer der Slogans der 68er-Bewegung. Und Jacob Burckhardt schrieb schon exakt 100 Jahre früher in seinen Weltgeschichtliche[n] Betrachtungen: «Und nun ist die Macht an sich böse, gleichviel wer sie ausübe» (S. 73). Aber die Studenten des Pariser Mai 68 forderten nicht nur die Abschaffung der Macht, sondern formulierten auch: «Die Phantasie an die Macht!» und «Alle Macht dem Volke».

Macht ist offenbar ein schillerndes Phänomen, das höchst ambivalente Gefühle, Phantasien und Wertungen auslöst. Macht wird einerseits entwertet, verdammt, gar verteufelt, und andererseits gilt ihr unsere Faszination. Wir bewundern und beneiden diejenigen, die sie ausüben. Wir träumen heimlich davon, selbst über unendlich viel Macht zu verfügen, und beschwichtigen die Schuldgefühle, die dieser Wunsch auslöst, mit der Vorstellung, diese unendliche Macht natürlich zum Wohle der Menschheit einzusetzen. Alle würden von unserer Macht und Großzügigkeit profitieren – vielleicht ausgenommen diejenigen, die es wirklich nicht besser verdient haben.

Gesunder Narzissmus

Interessanterweise ergeht es dem Begriff des Narzissmus ähnlich wie dem der Macht: auch ihm haftet eine höchst ambivalente Tönung an. Sigmund Freud stellt dem Narzissmus die Objektliebe diametral gegenüber. Je mehr man seine begrenzte libidinöse Energie an andere Menschen als Liebe und Zuneigung verschenke, umso weniger bleibe sozusagen dafür übrig, sich selbst zu lieben. Wer umgekehrt in erster Linie an sich selbst denke, dem stünden für den Mitmenschen keine Liebes-Reserven mehr zur Verfügung.

Der Narzissmus erscheint mit dem Egoismus assoziiert und demnach als eine antisoziale…


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von Hans-Jürgen Wirth

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