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Titel: Wilde Bilder - Graffiti Und Wandbilder · von Walter Grasskamp · S. 15 - 61
Titel: Wilde Bilder - Graffiti Und Wandbilder , 1982

Handschrift ist verräterisch

Stichworte zu einer Ästhetik der Graffiti

von Walter Grasskamp

Vandalismus

In der Geschichte des Vandalismus, die Louis Réau Ende der 50er Jahre veröffentlicht hat, findet sich ein eigenes Kapitel über die Wandschriftstellerei, die dort dem Vandalismus zugerechnet wird und unter der Überschrift graffitomanie ihre pseudo-medizinische Bezeichnung findet. Dabei muß selbst Réau eingestehen, daß diese unliebsame Handschrift eine beachtliche Tradition aufzuweisen hat, denn auch er stand noch unter dem Eindruck der Ausgrabungen in Pompeji und Herkulaneum, bei denen die konservatorische Lava nicht nur die kulturhistorisch angesehenen Wandgemälde in den Häusern reicher Bürger freigab, sondern auch geritzte Schmähschriften und Karikaturen auf den Mauern der Straßen. Der Zufall, daß hier eine ganze Stadt-Subkultur aus der Vergangenheit komplettüberliefert worden war, ließ die Graffiti nicht nur als die älteste, sondern auch als die kontinuierlichste Kulturäußerung des Menschen erscheinen. Um 1927 unternahm Allen Herbert Read eine erste Sammlung von Graffiti für sein Buch Lexical Evidence from Folk Epigraphy in the English Vocabulary, das 1933 in Paris erschien, und sein später Schüler Robert Reisner bezog 971 seine Publikation über Graffiti bereits auf 2000 Years of Wall Writing. Wem diese Tradition für eine Anerkennung der Wandschriftstellerei noch nicht ausreicht, dem sei in Erinnerung gerufen, daß sie von höchster Hand ausgeübt worden ist, schließlich schrieb der Gott des Alten Testaments sein Mené Tekel Parsindirekt auf die Wand des Palasts von Belsazar. rotz dieser ansehnlichen Ahnenreihe ist die freie Wandschriftstellerei nicht angesehen, selbst der Volksmund, der sich in ihr verewigt, hält einen strafenden Kommentar bereit: Narrenhände beschmieren Tisch und Wände, auch…

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von Walter Grasskamp

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